Wursthimmel by Lascaux Paul

Autor:Lascaux, Paul [Lascaux, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-06T16:00:00+00:00

Dienstag, 15. Juli 2008

Einmal mehr hatte es Heinrich Müller nicht geschafft, seine Trägheit zu überwinden und am Morgen aufzustehen, um – wie er es geplant hatte – einen Ausflug zu machen. Im Bett hatte er nach Ausflüchten gesucht, die es ihm ermöglichten, dem überlangen Nachschlafen doch noch etwas Gutes abzugewinnen.

Nach dem geruhsamen Frühstück mit Brotresten vom Samstag – die Models hatten ja eher gepickt als gegessen, deshalb war viel übrig geblieben – zog es den Detektiv in die Quartierbäckerei. Unterwegs bemerkte er eine tolle Blondine mit welligem Haar und langen Beinen, für die es sich sogar gelohnt hätte, die Brille aufzusetzen. Der Tag war gerettet. Er hatte für einen Moment die Schönheit gesehen. Obwohl, die Blonde war innert weniger Sekunden aus seinem Blickfeld verschwunden. Die Depression hatte ihn wieder, aber blond gemildert.

Zurück von der kurzen Einkaufstour, nahm er die Post aus dem Briefkasten, öffnete jeden einzelnen Brief sorgfältig und las sie alle. Die Rechnungen legte er ins Fach zu den andern, die er am Monatsende begleichen wollte. Die Reklamesendungen studierte er genau. Es machte ihm Vergnügen, jedes einzelne Angebot zu prüfen, aber genauso viel Vergnügen, sie allesamt zu verwerfen.

Auf dem Telefondisplay sah Müller eine Nummer, rief unbesehen zurück und hatte Bernhard Spring am Apparat. Sie wollten sich zum Lunch treffen, an der Wursttheke beim Bärengraben, die eben eröffnet worden war. Heinrich hatte genügend Zeit und schlenderte zu Fuß durch den Breitenrain und über die Kornhausbrücke in die Altstadt, bog vor dem Zytglogge ab und ging durch die Rathausgasse und später die Postgasse hinunter, verglich die Preise in den Schaufenstern all der kleinen Läden und Handwerksstuben, von denen einzelne noch die herabklappbaren Fensterläden bewahrt hatten, auf denen seit dem Mittelalter den Passanten Ware dargeboten worden war. Müller studierte Menükarten und war immer wieder erstaunt, was er sich alles hätte leisten können, ohne dass er sich hätte einschränken müssen.

Unter den Laubenbögen war es noch relativ kühl, obwohl auf der Gasse die Sonne schon kräftig brannte. Als er vor der Pferdemetzgerei neben dem alten Schlachthaus eine Schulklasse voller vierzehnjähriger Mädchen warten sah, dachte er, das ist der Gipfel psychischer Grausamkeit.

Schließlich erreichte er die Nydeggbrücke und den Bärengraben und kam gerade rechtzeitig, um Spring, der eben aus einem Polizeifahrzeug stieg, zum Wurststand zu begleiten. Das Angebot war klein, machte aber einen guten Eindruck: Bratwürste, Schüblig und Cervelats vom Grill, knackig gebräunt und in ein Fettpapier eingewickelt serviert, Faustfood, mit einem Brötchen für die andere Hand. Zu Hause ein Genussesser, auswärts ein Panikesser, so kam er sich vor, als er in den Cervelat biss. Die traditionelle Schweizer Wurst zu jeder Gelegenheit, zum warm oder kalt Essen, als Salatwurst oder für das Lagerfeuer, wäre beinahe der EU-Gesetzgebung zum Opfer gefallen, die es verhindern wollte, dass weiterhin Rindsdärme aus einem BSE-gefährdeten Land wie Brasilien zur Wurstproduktion verwendet werden durften. Dem hatten die Schweizer wenig entgegenzusetzen. Aber diese zarte Haut, die keinem Biss widerstand und dennoch die Wurstmasse auch beim Braten zusammenhielt, konnte nicht einfach so durch andere Hüllen ersetzt werden, zu zäh die Schafs-, zu fett die Schweine-, zu wenig dehnbar die künstlichen Därme.

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